The Ongoing Damage and Danger at Fukushima

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About This Interview

Arnie Gundersen joins Helen Caldicott on If You Love This Planet to discuss the ongoing release of radiation at Fukushima Daichi and what methods are being used to contain the damage. The water being used to cool the reactor is highly radioactive and is still being released into the Pacific. They deal with the dilemma of workers endangerment and ongoing radiation leakage. Information about health effects on children in the first 18 months since the accident is discussed.

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Transcript

Deutsch

Es geht mit der Zerstörung und der Bedrohung in Fukushima weiter

Über diese Radiosendung

Arnie Gundersen trifft Helen Caldicott bei „If You Love This Planet“, um über die andauern­de Freisetzung von Strahlung in Fukushima Daiichi zu sprechen und darüber, welche Me­thoden angewendet werden, um die Schäden einzudämmen. Das Wasser, das zur Kühlung der Reaktoren verwendet wird, ist stark radio­aktiv und gelangt weiterhin in den Pazifik. In welchem Dilemma man bei der Gefährdung von Arbeitern und der Freisetzung von Radio­aktivität steckt. Außerdem werden Nachrich­ten über Auswirkungen auf die Gesundheit der Kinder in den ersten 18 Monaten seit Be­ginn der Katastrophe besprochen.

Abschrift / Übersetzung

Helen Caldicott: Willkommen zu „Wenn Sie diese Erde lieben“. Ich bin Helen Caldicott und in dieser Sendung sprechen wir über die größ­ten medizinischen und umwelttechnischen Be­drohungen für alles Lebendige, als da sind: Atomwaffen und Atom­kraft, globale Erwär­mung, Ausdünnung der Ozonschicht, Giftmüll, Entwaldung, und noch viele andere soziale und politische Sachver­halte, die mit globalem Wohlergehen zu tun haben. Wenn Sie also diesen Planeten gern haben, so hören Sie zu. (Musik) Hallo und will­kommen zu „Wenn Sie diese Erde lieben“. Mein heutiger Gast ist Ar­nie Gundersen, ein guter Freund. Energiebe­rater für Fairewinds Associates, einer Einrich­tung, die Untersu­chungen, Analyse und Rechtsberatung rund um Umwelt- und Ener­giethemen bereitstellt. Arnie ist ein unabhängi­ger Atomingenieur und Sicherheitsexperte. Er erstellt Expertisen zu den Themen Betrieb von Atomanlagen, Zuver­lässigkeit, Sicherheit und Strahlungsprobleme für die amerikanische Atomaufsichtsbehörde (Nuclear Regulatory Commission), gesetzge­benden Behörden auf Bundes- und Landes­ebene, Regierungsbehör­den und Beamten überall in den USA, in Ka­nada, und auch inter­national. Er war eine der wichtigsten Stimmen zu den globalen Auswir­kungen des nuklearen Desasters von Fukus­hima und ist heute wie­der bei uns. Willkom­men zur Sendung, Arnie.

Arnie Gundersen: Hallo, Helen. Schön wie­der hier zu sein.

HC: Ich brauchte dich unbedingt, denn du hast ein paar neue Dinge zu Fukushima ge­sagt. Und ich habe dann auch noch eine Rei­he von Fragen. Also, wie gewohnt musst du uns erst einmal eine vollständige Beschrei­bung der aktuellen Lage der Einheiten I, II, II und IV geben – in welchem Zustand sind sie jetzt, was ist deine aktuelle Einschätzung und so weiter. Bitte, Arnie, du bist am Wort.

AG: OK, danke dir. Nun, gehen wir zur Ab­wechslung in der Reihenfolge IV, III, II, I vor. Am Reaktorgebäude IV sind die Wände abge­tragen worden und das ist gut so. Der Plan dabei ist…

HC: Was meinst du damit, dass die Wände abgetragen worden sind? Ich weiß nicht, was das heißen soll.

AG: Die Explosion hat alles in den obersten 2 Stockwerken des Reaktorgebäudes zerstört. Deshalb wurden die Mauerreste geschliffen, und zwar bis zu der Höhe, die wir als Betriebs­raum bezeichnen.

HC: Was du also sagst ist, dass das Gebäude nach wie vor steht, aber die obersten 2 Stock­werke entfernt wurden, stimmt das so?

AG: Ja. Wenn das Gebäude vorher 30 Meter hoch war, so sind es nun nur mehr 20. Es wur­de der gesamte Überbau oberhalb des Reak­tors abgenommen, eine große Halle, in der sich wuchtige Kräne und die Brücken der Brennelementwechselanlage bewegten. All das wurde nun entfernt und bald wird dort im Wesentlichen eine Plattform entstehen, auf der Tokyo Electric weiterzuarbeiten plant.

HC: Einen Moment! Es wurden also die obers­ten 2 Stockwerke entfernt, die ohnehin be­schädigt waren und wo sich die Kräne befan­den. Was bleibt ist also der Reaktorbehälter und daneben das Abklingbecken, angefüllt mit 100 Tonnen hochradioaktivem Brennstoff. Ist das so?

AG: Ja, absolut richtig.

HC: Gut.

AG: Der Plan ist nun, dass nach diesen Vor­bereitungen über der verbleibenden Ruine eine neue Struktur errichtet wird, speziell über dem Abklingbecken. Auf der einen Seite, meerseitig, soll das existierende Fundament genutzt werden, auf der anderen, der landein­wärts gerichteten Seite, soll danach ein neues Fundament als Basis für die Aufhängung des riesigen Krans entstehen. Wie gesagt, es gab einmal einen Kran dort, aber der ist einge­stürzt, daher muss er durch einen neuen er­setzt werden. Der Grund für diese monumen­talen Vorarbeiten liegt darin, dass man einen Kran braucht, der den schweren Abschirmbe­hälter für die Brennelemente tragen kann. Ein solcher wiegt um die 130 Tonnen, daher der gewaltiger Kran.

HC: Sprichst du nun von einem Bündel von Brennstäben, einem Brennelement? Ich ver­stehe nicht ganz, was du meinst.

AG: Nun, jedes Brennelement muss angeho­ben und in einen abschirmenden Behälter ma­növriert werden – und zwar unter Wasser.

HC: Ja.

AG: Sobald dieses Zeug aus dem Wasser kommt, ist die radioaktive Strahlung so hoch, dass sie jeden töten würde, der sich in Höhe des Betriebsraums befindet. Alles muss also in dem mit Wasser gefüllten Abklingbecken gemacht werden. Man hebt dann die Brenn­elemente einzeln heraus; aber natürlich ist die Frage, ob diese verbogen sind, entweder auf Grund der Hitze oder auch wegen der in das Becken gestürzten Gebäudebrocken. Theore­tisch jedenfalls sollte es möglich sein, die Brennelemente einzuhaken, sie unter Wasser herauszuziehen, sie an den Rand des Be­ckens zu manövrieren, und – immer noch un­ter Wasser – in einen riesigen Kanister zu bugsieren. Man will den Brennstoff in diesen großen Kanister heben, der dann mit einem Deckel verschlossen wird. Der wuchtige Ab­schirmbehälter wiegt so um die hundert Ton­nen.

HC: Oh.

AG: Dieser wird dann hoch gehoben und mit Hilfe des Krans zur Erde gelassen. Und dieser Vorgang wird sich dutzende Male wiederho­len, vielleicht ein ganzes Jahr lang, während dem das Becken geleert wird.

HC: Na gut, aber warte einmal, jedes Brenn­element wird also zuerst einmal unter Wasser angehoben und dann muss man den Behälter hinbringen – der ist ja noch nicht dort, oder? Der Behälter muss erst einmal gemacht und dann ins Becken gehievt werden, bereit, ein Brennelement aufzunehmen und auf den Bo­den herunterzubringen – stimmt das so?

AG: Das ist korrekt. Ziel Nummer 1 in der An­lage ist es, dieses Becken leer zu bekommen. Wenn das Hilfsgebäude erst einmal errichtet ist, wird man dann nochmals ein bis zwei Jah­re brauchen – daher ist die Gefahr keines­wegs gebannt, denn sollte es zu einem Beben kommen, durch das sich das Becken entleert, dann würde es weiterhin zu einem Brennele­mentfeuer kommen, wodurch das ganze Land verseucht würde. Die Lage bessert sich also insofern, als das Unterfangen jetzt gestartet wurde. Weißt du, Helen, sie haben sich nun endlich dazu durchgerungen. Es war im Juni 2011 – ich war Gast in der Show von Chris Martinson – als ich sagte, es sei notwendig, ein Gebäude über dem Gebäude errichten.

HC: Ja.

AG: Sie sind also sehr langsam. Unglückli­cherweise hat Mutter Natur ihren eigenen Fahrplan. Ich sehe es also als einen Wettlauf gegen die Zeit und ich hoffe, dass es [in der Zwischenzeit] kein weiteres großes Erbeben geben wird, das das Gebäude neuerlich zer­stört.

HC: Nun, wie lange wird es dauern, das Ge­bäude zu verstärken? Du sagtest, dass eine neue Wand auf der dem Meer abgewandten Seite gebaut werden muss.

AG: So ist es.

HC: Um sie stark genug zu machen, sodass man diesen unglaublich schweren Kran auf dem Gebäude anbringen kann. Wie lange wird das dauern a) dieses Bauwerk zu errichten, bevor man …

AG: Es wird behauptet, eine Jahr.

HC: Ein Jahr. Es benötigt also ein Jahr, diesen Bau zu errichten. Dann muss der Kran darauf verankert werden. Das wir wahrscheinlich nicht so lange dauern, richtig?

AG: Richtig. In zirka 18 Monaten sollte man also in der Lage sein, die Brennelemente zu bergen.

HC: 18 Monate, bevor die Brennelemente ge­hoben werden können und dann wird es noch einmal ein Jahr benötigen, bis sie alle aus dem Becken entfernt worden sind. Wir spre­chen also von zweieinhalb Jahren.

AG: Wir sprechen von 2015 oder 2016, bis das erledigt sein wird.

HC: O Gott.

AG: Ja, und der letzte Brennstoff, der zu ber­gen ist, wird der radioaktivste sein, der gefähr­lichste. Das Entfernen ist also am Anfang am leichtesten. Die letzten Brennelemente wer­den die neuesten sein, die also, die physisch heiß sind und am meisten Strahlung abgeben – daher werden diese Brennelemente die letz­ten sein, an die man sich heranwagt, vielleicht 2014 oder 2015.

HC: Wenn sie also die Brennelemente in dem Container, der 100 Tonnen wiegt, auf den Bo­den herunter bringen, dann wird jedes Mal nur ein einziges Brennelement bewegt. Wie viele Brennstäbe sind denn in einem Brennelement?

AG: Es sind 9 mal 9; also rund 80.

HC: Achtzig!

AG: Ja, 80 Brennstäbe pro Brennelement und es sind insgesamt über 1000 Brennelemente.

HC: Wie viel wiegt so ein Brennelement?

AG: Zirka eine Tonne.

HC: Eine Tonne?

AG: Ja, so ungefähr eine Tonne. Nun ist aber zu bedenken, dass das große Problem sein wird, ob diese Brennelemente durch das Erd­beben oder die Hitze verbogen wurden oder durch auf sie gestürzter Schutt? Vielleicht wird man sie nicht einfach herauszuziehen können. Möglicherweise wird man beim Versuchen, sie anzuheben, feststellen, dass sie sich ineinan­der verkeilt haben.

HC: Aber was dann?

AG: Das ist ein weiteres Problem. Wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln werden. Unglücklicherweise braucht das alles viel zu lange. Sobald die Brennelemente also am Bo­den ankommen, werden sie in ein anderes Ab­klingbecken der Anlage gebracht. Es gibt da ein riesiges Becken und dieses muss geleert werden. Dieser Vorgang wird sich dann immer und immer wieder wiederholen. Und langsam – indem die Brennelemente in Abschirmbehäl­tern am Boden gelagert werden anstatt in ei­nem beschädigten Gebäude und dann auch noch hoch in der Luft – wird sich die Situation verbessern.

HC: Sie werden also in das allgemeine Ab­klingbecken gebracht. a) Wie viele abgebrann­te Brennelemente befinden sich zurzeit in die­sem Abklingbecken und b) wo befindet sich das eigentlich?

AG: Es sind um die 7000 Brennelemente im allgemeinen Abklingbecken, dieses befindet sich landseitig [nicht meerseitig, AdÜ] hinter dem Reaktor, der beim Tsunami nicht überflu­tet wurde. Es liegt etwas erhöht landeinwärts. Man wird also die ältesten Brennstäbe aus diesem Becken entfernen und in Abschirmbe­hälter transferieren müssen, die dann wohl Jahrzehnte lang in der Anlage verbleiben wer­den. Danach wird das Material aus Fukushima IV im allgemeinen Abklingbecken gelagert werden, aber zurzeit ist es randvoll.

HC: Na gut, es sind also im Augenblick 7000 Brennelemente darin, die jeweils 1 Tonne wie­gen, somit sind 7000 Tonnen an abgebrannten Brennelementen im allgemeinen Abklingbe­cken.

AG: Richtig. Und dann noch Reaktor II, Reak­tor I, Reaktor III, alle haben sie 500 bis 600 Brennelemente, das heißt – die Rechnung ist nicht schwer – es sind an die 600 Tonnen Ma­terial in jedem der Reaktoren. Eine riesige Menge an Atommüll. Abfall von 40 Jahren ist in der Anlage. Und dazu noch weitere Brenn­elemente, die bereits im Trockenlager sind. Es gibt in der Anlage auch ein Trockenlager. Die­ses hat Erdbeben und Tsunami gut überstan­den. Das Ziel ist also, all das Material in den nächsten 10 Jahren in Abschirmbehälter zu bringen.

HC: Nun, nach meiner Berechnung schaut es so aus, dass 8800 Tonnen an abgebrannten Brennelementen in der Anlage oder – aufge­rundet – möglicherweise bis zu 10.000 Tonnen allein im Komplex von Fukushima Dai-ichi sind. Und da sind die Abklingbecken der Re­aktoren V und VI noch gar nicht mitgezählt . Und so frage ich mich, Arnie Gundersen, wie viele abgebrannte Brennelemente gibt es ins­gesamt in Japan?

AG: Ich weiß es nicht, Helen. Alle Kraftwerke sind bereits ziemlich alt; einige, wie z.B Tokai, haben nur 2 Reaktoren, Onagawa hat 3, sie sind also nicht alle gleich, aber ich bin sicher, man kann – es sind 50 Reaktoren und ich bin mir sicher, dass jedem mindestens 600 Brenn­elementen zuordenbar sind, vielleicht auch mehr. Es sind also 600 Tonnen pro Reaktor mal 50 Reaktoren – eine riesige Anzahl.

HC: 30.000 Tonnen. Gut, ok.

AG: Das ist die kleinste anzunehmende Men­ge.

HC: Die kleinste!

AG: Das Gute an Gebäude IV ist, dass der Reaktorkern leer ist. Wenn die Gebäude I, II und III an der Reihe sind, dann müssen freilich die Abklingbecken genauso geleert werden, und es ist überhaupt nicht klar, insbesondere in Gebäude III, wie stark das Abklingbecken beschädigt ist. Ich glaube, dass die Schäden am Abklingbecken von Gebäude III umfas­send sind. Aber dann muss man in die Reak­torkerne von Einheit I, II und III. Der Brennstoff dort ist natürlich geschmolzen, es ist also nicht so simpel, dass man die Brennelemente ein­fach einklinkt und heraushebt. Der Brennstoff ist geschmolzen und liegt nun als eine Art Klumpen auf dem Boden des Reaktorkerns – wenn man Glück hat. Doch in Wirklichkeit ist es eher wahrscheinlich, dass der Brennstoff aus dem Kern ausgelaufen ist und nun als Fladen auf dem Betonboden liegt. Das wird also um einiges schwieriger als bei Einheit Nummer IV.

HC: Hm, das einzige Mal, bei dem versucht wurde, geschmolzenen Brennstoff zu entfer­nen, war in Three Mile Island. Und das hat 10 Jahre gebraucht, nicht wahr?

AG: Ja. Und das war [vergleichsweise ein] einfach[er Fall].

HC: Aber diese Kernschmelze ist nicht wirklich vergleichbar mit dem, was in den 3 …

AG: So ist es. Three Mile Island hatte einen Klumpen am Boden des Reaktorkerns. Das Material hat den Kern nicht verlassen. Hier sind aber alle Reaktorgefäße durchbrochen worden, die Kontrollstäbe werden von unten in den Kern eingeführt und die Durchbrüche le­cken wie ein Sieb. Es ist also sehr wahr­scheinlich, dass der Brennstoff über die Kon­trollstäbe herausgequollen ist, wenn er sich nicht einfach seinen Weg durchgebrannt hat. Anzunehmen ist, dass Einheit II ebenfalls durchgeschmolzen ist und der Brennstoff nun auf dem Beton liegt. Und das ist, meines Er­achtens, der große Unterschied … meiner An­sicht nach ist es das, was in Einheit I, II und III zu finden sein wird. Stellen wir uns einen Atomreaktor als Dampfkochtopf vor.

HC: In Ordnung…

AG: Der Atomreaktor ist also in einem Con­tainment („Sicherheitsbehälter“), wir werden somit ein richtig kräftiges Gehäuse rund um den Dampfkochtopf bauen; und dann besteht das Containment auch noch aus einem weite­ren Bauteil, dem sogenannten Torusgebäude. Neben diesem Gebäude befindet sich die Tur­binenhalle. Wir haben es also mit 3 oder 4 verschiedenen Bauwerken zu tun. Zur Turbi­nenhalle hin gibt es also drei verschiedene Barrieren, bevor man überhaupt bis zum Tur­binenhaus kommt. Dort findet man Konzentra­tionen an radioaktivem Material in einer Grö­ßenordnung von einer Million Becquerel, also einer Million Zerfälle pro Sekunde pro Liter. Man kann sich ein Liter Cola vorstellen und eine Million Lichtblitze pro Sekunde. Das ist also Wasser, nicht im Reaktorkern, nicht im Containment, nicht im Reaktorgebäude, son­dern weiter weg in der Turbinenhalle. Was mich in diesem Zusammenhang beunruhigt, ist die Belastung der Arbeiter. Meine Ansicht zu diesem Thema hat sich übrigens gewan­delt. Ursprünglich dachte ich, dass die Reak­toren in 60 Jahren oder so demontiert werden könnten. Aber zum jetzigen Zeitpunkt glaube ich, dass dies den Arbeitern gegenüber nicht fair wäre. Die Belastung, die diesen Leuten während des Abbaus zugemutet wird, ist un­glaublich. Ein bisschen Physik in diesem Zu­sammenhang: der Nuklearbrennstoff ist am ersten Tag ausgesprochen heiß, schon etwas weniger heiß am nächsten Tag und noch weni­ger am Tag danach. Er strahlt dennoch weiter­hin große Hitze ab, man kann Dampf aus den Gebäuden aufsteigen sehen. Trotzdem ist er weitaus weniger heiß als unmittelbar nach dem Unfall und in 5 Jahren wird eine weitere Kernschmelze unmöglich sein. Wahrscheinlich ist dies bereits jetzt ausgeschlossen, mit Si­cherheit wird es aber nach 5 Jahren so weit sein. Man muss also das Reaktorgebäude und den Reaktor, oder was von ihnen noch übrig ist, für ungefähr 5 Jahre kühlen. Danach aber können die Pumpen abgestellt werden.

HC: Oh, es wird also immer noch Wasser über den geschmolzenen Brennstoff geschüttet?

AG: Ja

HC: Meerwasser?

AG: Es handelt sich ziemlich sicher nicht um Schmelze, Helen. Wahrscheinlich ist es ein fester Klumpen, der ist allerdings ziemlich heiß. Aber ja, er wird immer noch mit Wasser übergossen, und zwar jeder Reaktor mit eini­gen 10 Tonnen pro Tag. Und dieses Wasser kommt unheimlich radioaktiv wieder heraus und anstatt es gleich wieder hineinzupumpen, wird es mit einem komplexen und sehr teurem Mineralfiltersystem gereinigt. Aber bei dieser Methode entstehen hunderte von Filter-Rück­ständen. Man denke an einen Kaffeefilter, hunderte davon, alle so groß wie ein Auto und hochradioaktiv durch das Cäsium, das eine Lebensdauer von 300 Jahren hat, die auf ei­nem Feld hinter dem Kraftwerk abgestellt sind. Und dennoch nimmt die Konzentration der Ra­dioaktivität im Wasser nicht ab, weil es in di­rektem Kontakt zum Atombrennstoff steht.

HC: Ja.

AG: Es wurde also der Reaktor verseucht, der Boden des Containments, der Torus, diese ringförmige Struktur mit den umgebenden Ge­bäudeteilen, das, was in die Luft flog und des­sen Boden verseucht ist und ebenso das an­grenzende Gebäude, die Turbinenhalle, die kaum radioaktiv sein sollte und es doch ist, in einem Ausmaß von einer Million Zerfällen pro Sekunde und Liter. Meine derzeitige Meinung ist, dass es den Arbeitern bei diesem Grad an Verstrahlung nicht zuzumuten ist, einfach hin­zugehen und Aufräumarbeiten vorzunehmen. Und wenn ich Teil des Managements von To­kyo Electric wäre, so würde ich, nachdem die Phase der Kühlung abgeschlossen ist, in Be­tracht ziehen, diese Bauteile mit Beton aufzu­füllen und sie 300 Jahre nicht weiter anzurüh­ren. Natürlich würde ich sie weiter unter Beob­achtung halten, aber ich denke, es wäre den Arbeitern gegenüber nicht zu verantworten, sie den außerordentlich hohen Dosen auszu­setzen, wenn man daran ginge, die Anlage zu einer grünen Wiese rückzubauen.

HC: Man kann sie nicht mehr in eine grüne Wiese zurückverwandeln, das ist doch lächer­lich. Aber wie dem auch sei…

AG: Ja, du hast recht. Und natürlich ist die große Sorge, die man haben muss, dass man mit Sicherheit alles abfängt und nichts ins Grundwasser durchsickert.

HC: Aber genau das wird passieren und wenn man einfach Beton drüberschüttet, so wird das Wasser weiter nach unten ins Grundwasser durchsickern, und du weißt doch, dass es dann bis ans Ende aller Tage den Pazifik ver­seuchen wird.

AG: Stimmt. Es gibt keine gute Lösung.

HC: Es gibt keine.

AG: Allerdings. Keine Gute. Aber ein Lösungs­ansatz wäre es, Löcher unterhalb zu bohren und kontinuierlich das Wasser unterhalb der Gebäude abzupumpen, sodass – was auch immer für Lecks auftreten mögen – das Was­ser entsprechend behandelt werden kann. Wir kommen also auf die Riesenfilter zurück. Aber meinem Urteil nach kann ich als Manager zum jetzigen Zeitpunkt nicht einigen tausend Arbei­tern den Auftrag zum Rückbau geben und da­bei in Kauf nehmen, dass sie außerordentlich hohe Strahlenbelastungen auf sich nehmen.

HC: Dann eine andere Frage, Arnie: gibt es nur eine Turbinenhalle, wo mit dem Dampf Strom erzeugt wird, oder hat jedes Reaktorge­bäude seine eigene?

AG: Jedes Reaktorgebäude hat seine eigene Turbinenhalle.

HC: Welches ist das Turbinengebäude, das so radioaktiv, mit einer Million Becquerels ver­strahlt ist?

AG: Alle sind gleich verstrahlt.

HC: Oh.

AG: Einheit III ist am Schlimmsten. Und inter­essanterweise kontaminiert Einheit III die Ein­heit IV.

HC: Was?

AG: Ja, sie sind verbunden. Wir finden also Wasser aus Einheit III, das in Einheit IV ein­dringt. Es läuft auch zwischen den Gebäuden aus, und es versickert im Boden an den Ge­bäuderändern. Ja! Die Frage ist: wie kommt es aus den Gebäuden heraus? Ein guter Freund von mir war ein Elektroingenieur bei General Electric. Er sagte mir, wie das mög­lich ist. Er sagt, ein Containment ist kein mo­nolithischer Block. Rohrleitungen und Kabel gehen hinein und hinaus, Elektroleitungen ge­hen hinein und hinaus, und diese Kabel wer­den mit Gummi isoliert. Nun, es war niemals vorgesehen, dass der Gummi einer derartigen Strahlenbelastung gewachsen sein soll. Er war auch nicht konstruiert, um eine derartige Hitze auszuhalten. Und genauso wenig Salz­wasser. Alle diese Durchbrüche von Elektrolei­tungen, die zwischen dem Reaktor und den anderen Gebäuden verlaufen, sind undicht und ermöglichen es dem radioaktiven Materi­al, sich überall in der Anlage zu verbreiten.

HC: Ich bin einigermaßen sprachlos. Na gut, meine nächste Frage ist: von den 3 Turbinen­hallen weisen alle diese Strahlung von einer Million Becquerel pro Liter auf, ist das richtig?

AG: Die schlimmste, also Einheit III, hat eine Kontamination von dieser Höhe, die anderen sind wohl in dieser Größenordnung. Ich weiß es nicht mit Bestimmtheit, aber die Werte sind astronomisch. Auf keinen Fall etwas, wo man jemanden freiwillig hinein schicken würde, um dort die Wände zu schrubben.

HC: Das bedeutet also, wenn man eine so hohe Strahlung in den Turbinenhallen findet, die 3 Gebäudeteile vom eigentlichen Reaktor entfernt liegen, dass man daraus Rückschlie­ßen und sagen kann, dass die Strahlung, wenn sie schon in den Turbinenhallen so hoch ist, sie in allen anderen Gebäudeteilen, die nä­her am Reaktor liegen, noch höher sein muss – richtig? Das ist deine Schlussfolgerung.

AG: Das stimmt genau. Wenn das Gebäude abgerissen wird, dann ist da immer noch das radioaktive Material. Sie müssen es an einen Ort bringen, der noch sauber ist. Das macht nicht viel Sinn. Es kann also sehr gut sein, dass sich die Japaner sagen: ok, wir haben einen riesigen Fehler gemacht. Aber wir nut­zen Fukushima als Endlager für alles, was wir in der Anlage finden, anstatt andere Plätze da­mit zu verseuchen.

HC: Ja.

AG: Wir werden diesen Ort hier opfern und wenden uns anderen Dingen zu.

HC: Ja, aber dann opfert man den pazifischen Ozean und jene Menschen, die Fisch aus die­sem Ozean essen, und die Menschen an der amerikanischen Westküste und die Menschen in Australien, denn die Fische schwimmen überall hin. Ich meine, man opfert den Pazifik, wenn man dieses Zeug einfach dort lässt, das dann immer weiter in den Pazifik ausläuft bis ans Ende aller Tage.

AG: Du hast recht. Das Abpumpen wird für 100, 200 Jahre notwendig sein, so lange, bis man zurückkommen kann, um die Anlage ab­zubauen.

HC: Ja, aber was werden unsere Nachkom­men dazu sagen? Drei Generationen ergeben ein Jahrhundert, wenn wir also von 300 Jah­ren ausgehen, so sind das 9 Generationen. Was werden sie denken? Werden sie das ma­chen? Werden sie das tun wollen? Werden sie die notwendigen Gerätschaften und das not­wendige Wissen haben? Und weißt du was? Ich bin der Ansicht, wir setzen da ziemlich viel als gegeben voraus, Arnie. Wir nehmen ein­fach an, dass die Leute in 9 Generationen ge­nauso denken werden wie wir es heute tun?

AG: Ich weiß. Und wir glauben auch, dass un­sere Gesellschaft 300 Jahre weiter bestehen wird und dies mindestens auf dem gleichen technischen Niveau, auf dem wir selbst sind. Und dann müssen wir auch noch herausfin­den, wo soll das ganze Geld dafür herkom­men? Es hat nicht den Anschein, dass die in­ternationale Gemeinschaft sagen wird, hier Japan, hier ist eine halbe Billion Dollar. Das Geld kommt aus der japanischen Staatskasse. Nun, sie geben das nicht zu. Japan gibt nicht zu, dass auf seine Finanzen eine Belastung im Ausmaß von einer halben Billion Dollar zu­kommen wird. Zurzeit heißt es: 10 Milliarden in diesem Monat, 10 Milliarden im Quartal, 10 Milliarden im Halbjahr; aber niemand schaut sich das Gesamtbild an und sagt, wenn man all das für die nächsten 50, 60 oder 100 Jahre zusammenzählt, dann ergeben sich Kosten in der Höhe von einer halben Billion Dollar. Ja­pans Bevölkerung altert und schrumpft. Diese gewaltige Last muss also von einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung getragen werden. Nicht gerade eine besonders ange­nehme Situation, das ist sicher.

HC: Und das Ganze angesichts der Zahl an bösartigen Veränderungen und Krankheiten, die aus diesem Unfall resultieren werden. Wir wissen ja – die Zahlen von Tschernobyl bele­gen es –, dass bis zu einer Million Menschen gestorben sind und wir reden von den nächs­ten 300 oder 600 Jahren, so lange Cäsium ra­dioaktiv bleibt. Andere Isotope sind aber für hunderte, tausende, wenn nicht Millionen Jah­re radioaktiv. Auch sie sind in dieser Mi­schung, nicht nur Cäsium. Und bis heute hast du gesagt, Arnie Gundersen, dass du die in Fukushima freigesetzte Strahlung für zweiein­halb bis drei Mal größer einschätzt als die in Tschernobyl. Und die japanische Bevölkerung ist viel dichter als in der Region rund um Tschernobyl. Wenn man also eine Million Men­schen in den ersten 26 Jahren multipliziert mit dem Wert 2,5 oder 3 aus deinen Angaben, dann würde man am Ende zu einem Ergebnis von 3 Millionen Toten nach einem Zeitraum von 25 Jahren kommen.

AG: Nun, ich bin bei einer Million. Die Atomin­dustrie bestreitet freilich mein Ergebnis, sie behaupten, dass vielleicht 100 Menschen auf Grund dieses Unfalls sterben werden.

HC: Das ist doch lächerlich.

AG: Nun, ich habe Steve Wings Daten von Three Mile Island verwendet. Und dieser zeigt ziemlich überzeugend, dass 10.000 Menschen an Krebs gestorben sind, der durch Three Mile Island ausgelöst wurde. Und selbstverständ­lich wissen wir von der einen Million Toten durch Tschernobyl. Weil es sich bei Fukushi­ma um einen größeren Austritt in einem dich­ter besiedelten Gebiet handelt, erscheint mir eine Million als absolut glaubwürdig. Im Unter­schied zu Tschernobyl ist auf einer Seite von Fukushima Wasser, während Tschernobyl von Land umgeben ist. Aber die Industrie weiß, dass es wohl ... Japan hat eine Bevölkerung von 140 Millionen. Und zirka ein Drittel ster­ben an Krebs. Also werden in dieser Zeitspan­ne für gewöhnlich rund 40 oder 50 Millionen an Krebs sterben. Wenn ich also recht behal­te, und es sind 1 Million Menschen, so ist das lediglich eine Erhöhung um 2%. Daher wird es äußerst schwer zu messen sein, es sei denn, man hält speziell danach Ausschau.

HC: Aber es wird epidemiologische Studien geben und ich glaube du unterschätzt diese Zahl, weil – du bleibst doch bei deiner Ein­schätzung, dass 2,5 bis 3 mal so viel Strah­lung in Fukushima freigesetzt wurde als in Tschernobyl?

AG: Ich bin mir in Bezug auf Edelgase da ganz sicher.

HC: Ja.

AG: Was Xenon und Krypton angeht, so gibt es Messdaten im nordwestlichen Quadranten während der ersten Unfallwoche. Dort war je­der Kubikmeter Luft mit 1.000 Becquerel be­lastet, also 1.000 Zerfälle für jeden Kubikme­ter in diesem Bereich. Nun, das muss zu Lun­genkarzinomen und Ganzkörperbelastungen führen, die von der Industrie nicht in Betracht gezogen werden. Das andere ist, dass es am 16. März im Inneren von Einheit II anschei­nend zu einer Explosion gekommen ist. Von außen macht Einheit II ja einen ganz guten Eindruck. Es schaut gar nicht so schlimm aus. Aber das Containment wurde gerade in dem Moment aufgebrochen, als die Betreiber Druck aus dem Reaktor abgelassen haben. Eine riesige Strahlungswolke wurde am 16. freigesetzt und der Wind hat sie nach Tokyo getrieben. Nun, in den ersten Tagen nach dem Unfall funktionierten nicht viele Strahlenmess­stellen. Du weißt, in Japan und bei Tokyo Electric herrschte das Chaos, und dennoch will niemand nachfragen, oh mein Gott, wie stark war Tokyo nun eigentlich an jenem 15., 16. und 17 März betroffen? Es gibt nicht viele gute Daten und soweit Daten überhaupt vor­liegen, werden sie von Japan regelmäßig her­untergespielt. Die Belastung wird unterschätzt. Aber wie du weißt, war ich letzten Februar in Tokyo und ich fand im Boden, in jedem Kilo Erde 7.000 Zerfälle pro Sekunde. Das würde in den USA als Atommüll eingestuft. Die japa­nische Regierung aber sagt, mach dir keine Sorgen, alles in Butter. Alles ganz normal.

HC: Lächeln, immer nur lächeln, sagen sie. Gut, was ich noch in Bezug auf verschiedene Erkrankungen – also nicht nur auf Krebs und Leukämie –, sondern auf Diabetes, auf vor­schnelle Alterung von Kindern, auf gehäuftes Auftreten von grauem Star, gehäuftes Vorkom­men von schweren Geburtsfehlern, wie wir sie als Folge in Tschernobyl gesehen haben, sa­gen will – heute werde ich noch einen Kinder­arzt interviewen, der ein Spezialist auf dem Gebiet der Teratologie ist, also für Schädigun­gen [durch Umwelteinflüsse, AdÜ] am Fötus, über das Auftreten von Missbildungen bei der Geburt rund um Tschernobyl, womit es – ne­benbei bemerkt – immer noch weitergeht. Wir werden das mit Sicherheit auch in der Bevöl­kerung rund um Fukushima sehen, wir spre­chen also nicht nur von bösartigen Erkrankun­gen. Es gibt noch viele weitere Krankheiten, die mit Strahlenbelastungen in Verbindung stehen, und ich wollte als Ärztin einmal aufzei­gen, dass die Kosten für die japanische Re­gierung und für die Bevölkerung im Allgemei­nen enorm sein werden, wenn man für die Be­troffenen sorgen und diese behandeln will. Und das wird im Moment bei den Unfallfolgen noch gar nicht mit eingerechnet.

AG: Ich denke, du hast völlig recht. Dazu kom­men noch die Genschäden, die Genera­tionen umspannen. Gerade letzte Woche ist eine Studie über die Strahlenschäden bei Schmet­terlingen erschienen. Was herausge­funden wurde ist, dass der Genschaden in nachfol­genden Generationen sich noch ver­schlimmert, dass also nach 3 Generationen die Schmetterlinge einen größeren geneti­schen Schaden aufweisen als die 1. Generati­on. Es muss hier also ganz offensichtlich noch viel mehr Forschung betrieben werden, aber wir haben hier einen beschädigten Genpool vor uns, der nicht in 10 oder 20 Jahren fest­stellbar sein wird, sondern in einer oder zwei Genera­tionen.

HC: Das ist der gravierendste Aspekt dieses Unfalls und auch aller anderen Ereignisse, die mit Strahlung zu tun haben. Es wird geneti­sche Progression genannt. Nun habe ich noch ein paar andere Fragen, Arnie. Du hast bei diesem Unfall zu einem früheren Zeitpunkt ge­sagt, dass sich in den Gebäuden der Reakto­ren I, II, und III große Mengen an Wasserstoff ansammeln würden. Und dass Stickstoff in die Gebäude gepumpt würde, um den Wasser­stoff zu verdünnen und so eine Wasserstoffex­plosion zu verhindern. Sammelt sich dieser Wasserstoff immer noch an?

AG: Und sie haben es nicht geschafft. Ich mei­ne, die Reaktorgebäude I, II, III und IV sind durch Wasserstoffexplosionen zerstört wor­den. Es mag verschiedene Auslöser gegeben haben – im Übrigen glaube ich, dass in Einheit III die Wasserstoffexplosion nur der Anfang war, dass es danach zu einer prompten mode­rierten Kritikalität kam, was schlimmer ist. In­teressanterweise – tut mir Leid, ich schweife nun ein wenig vom Thema ab – gibt es eine japanische Untersuchung, die die Explosion in Einheit III als Detonation bezeichnet, nicht als Deflagration. Das hat etwas mit der Geschwin­digkeit zu tun, in der sich die Druckwelle aus­breitet. Es gibt nirgends auf der Welt ein Con­tainment, das die Schockwelle einer Detonati­on unbeschadet überstehen könnte. Das ist etwas, was die Atomindustrie nicht thematisie­ren will, aber wir haben jetzt ... In Three Mile Island gab es eine Explosion, es handelte sich dabei um eine Deflagration. In Einheit I in Fu­kushima kam es zu einer Explosion, das war eine Deflagration, eine sich langsamer aus­breitende Schockwelle. Die Explosion in Ein­heit III wird inzwischen auch von anderen Ex­perten – und nicht mehr nur von Arnie Gun­dersen – als Detonation bezeichnet.

HC: Was heißen soll…

AG: Nun, das heißt, die Druckwelle bewegt sich schneller als der Schall und sie zerbricht die Betonhülle….

HC: Ja, aber was hat die Explosion verur­sacht? Du hast gesagt, es handelte sich wahr­scheinlich nicht um eine Wasserstoffexplosion. War es eine Atomexplosion?

AG: Ich glaube, es war eine prompte mode­rierte Kritikalität.

HC: Was ist das?

AG: Es ist keine Atombombe. Bei einer Atom­bombe verdoppelt sich die Stärke der Explosi­on jede millionstel Sekunde. Bei einer promp­ten moderierten Kritikalität verdoppelt sich die Stärke jede tausendstel Sekunde. Das ist im­mer noch ein winziger Augenblick. In Einheit III war ein Energieanstieg zu beobachten, der langsamer als bei einer Atombombe war, aber viel schneller als alles, wofür ein Atomreaktor ausgelegt ist …

HC: Es war also eine moderierte Atomexplosi­on?

AG: Moderiert heißt, dass Neutronen das Ura­natom mit hoher Geschwindigkeit verlassen haben, aber dann trafen sie auf Wasser und wurden abgebremst, und wurden dadurch zu dem, was wir thermale Neutronen nennen. Wir kommen da ziemlich tief in das Gebiet der Atomphysik. Aber das Resultat ist, dass die Explosion in Einheit III eine moderierte war, was bedeutet, dass sie sich in jedem Tau­sendstel-Bruchteil einer Sekunde verdoppelt hat.

HC: Aber es war eine Atomexplosion, keine Wasserstoff-Explosion, sie war atomar. Wür­dest du das so sagen?

AG: Meiner Meinung nach war es eine promp­te moderierte Kritikalität. Ich werde es nicht eine Atomexplosion nennen, denn das wäre dann eine prompte UNmoderierte Kritikalität.

HC: Sie trat aber im Atombrennstoff auf.

AG: Ja, aber bei der Geschwindigkeit, mit der sie sich ausbreitete, werde ich sie nicht Atom­explosion nennen.

HC: Ok, Arnie, du nimmst es also ganz beson­ders genau. Aber du hast immer noch nicht meine Frage beantwortet: Sammelt sich im­mer noch Wasserstoff in den Gebäuden I, II und III?

AG: Du hast recht, ich habe deine Frage nicht beantwortet. Ja, es kommt wegen der Elektro­lyse im Wasser immer noch Wasserstoff dazu. Die Gammastrahlung des Brennstoffes trifft auf das Wasser und produziert dabei Wasser­stoff und Sauerstoff. Deshalb muss die ganze Zeit Stickstoff in die Reaktoren eingespritzt werden.

HC: Oh.

AG: Um genau zu sein, wurde kürzlich sogar ein bisschen zu viel Stickstoff zugeführt. Das hat zu neuerlicher schubweiser Freisetzung von Strahlung geführt. Wenn zu viel hinein ge­pumpt wird, wird zu viel Strahlung heraus ge­presst. Es wird also versucht, den Stick­stoffanteil stabil zu halten, ohne dass mehr und mehr Strahlung heraus gedrückt wird. Aber sämtliche Containments sind löchrig wie ein Sieb. Und noch einmal: Die nächsten 5 oder 6 oder 7 Jahre wird weiter Wasserstoff produziert. Und Stickstoff einzuspritzen bleibt die einzige Möglichkeit, eine weitere Explosion zu verhindern.

HC: Es gibt also in den Einheiten I, II und III weiterhin die Gefahr einer Wasserstoffexplosi­on?

AG: Ja.

HC: Mein Gott. Aber wie sieht es mit Dampf­explosionen aus? Anfänglich hast du auch da­von gesprochen, Arnie Gundersen.

AG: Ja, aber die Zerfallswärme ist nun so nie­der, dass der Klumpen zwar noch heiß ist, aber bereits fest, im Gegensatz zu geschmol­zen. Es wird also in dieser Lage nicht mehr zu Dampfexplosionen kommen. Wir sind im Ab­lauf dieses Unfallgeschehens bereits so weit vorgerückt, dass die Klumpen aus Brennmate­rial zwar immer noch Hitze ausstrahlen, aber nicht mehr heiß genug sind, um sich in ge­schmolzene Lava zu verwandeln.

HC: Ok. Was meinst du nun aber, wie viel Strahlung tritt immer noch jeden Tag in den Einheiten I, II und III aus, die ja undicht sind wie ein Sieb, um dich zu zitieren.

AG: Es würde mich nicht wundern, wenn es täglich eine Milliarde Becquerel wäre, über Wasser oder über Gas … Eine Milliarde Zer­fälle pro Sekunde und Tag. Und wenn diese Milliarde einmal frei gesetzt ist, dann wird der Zerfall weiter gehen – nur dass er eben nicht mehr innerhalb des Reaktorkerns stattfindet. Während sich das um die Welt bewegt, wird der Zerfall sich fortsetzen. Nun, eine Milliarde ist eine große Zahl, aber der ursprüngliche Ausstoß hatte noch weitere 12 Nullen hinten dran. Verglichen mit dem ersten Tag oder der ersten Woche des Unfalls ist der Ausstoß also klein. Aber verglichen mit einem laufenden Atomkraftwerk, in dem alles funktioniert, ist das gigantisch.

HC: eine Milliarde Becquerel pro Tag. Könn­test du…. Eine Milliarde Zerfälle pro Sekunde, das ist nicht eine Milliarde Becquerel pro Tag.

AG: Nein, eine Milliarde Zerfälle pro Sekunde pro Tag. So geht es jeden Tag weiter mit den Milliarden-Zerfällen.

HC: [Oder eine Milliarde Becquerel. Ok. Weil ein Becquerel eine Milliarde Zerfälle pro Se­kunde ist.] Wie groß war dann anfänglich die Freisetzung?

AG: Mein Gott, es war eine Zahl mit 15 Nullen hinten dran.

HC: (zählt) 1-2-3, 4-5-6, 7-8-9…

AG: Ich glaube, sie werden in Terabecquerel gemessen.

HC: Was ist ein Terabecquerel?

AG: Das sind 12 Nullen. [AdÜ.: Peta = 15]

HC: 12 Nullen.

AG: Es war wohl im Bereich von hunderttau­send Terabecquerel. Also eine Zahl mit 20 Nullen…

HC: 20 Nullen! 20 Nullen pro Tag!

AG. Ja. Wenn man eine 1 mit 20 Nullen an­schreibt, das ist dann ungefähr… ich habe meinen Rechner momentan nicht bei mir, He­len, aber es waren 100.000 Petabecquerel. Peta ist also 10 hoch 15.

HC: Petabecquerel. Das ist also 10 hoch 20, 10 hoch zwanzig.

AG: Grob gesagt. Es ist 10 hoch 18. Aber das ist eigentlich unwichtig. Es ist eine unvorstell­bar große Zahl.

HC: Und welche Stoffe produzieren nun diese immense Strahlungsmenge? Zähl' ein paar auf.

AG: Ganz am Anfang, die erste Spitze, das waren Xenon und Krypton, Edelgase, wir ha­ben darüber gesprochen, sie sind fettlöslich und man nutzt sie in Krankenhäusern, um…

HC: Sehr starke Gammastrahler, ja.

AG: So ist es. Danach folgt Iod. Dieses hat le­diglich eine Halbwertszeit von 8 Tagen, aber es wird vor allem von der Schilddrüse aufge­nommen. Es ist – ich glaube letzte Woche – eine gute Studie erschienen, die zeigt, dass Menschen, die Hiroshima als Kind erlebt ha­ben, die Schilddrüsenprobleme bis ins Alter von 50, 60 ,70 mitschleppen. Ursprünglich wurde angenommen, dass man über den Berg sei, wenn man es die ersten paar Jahre ge­schafft hat, aber für Kinder, deren Schilddrüse noch am Wachsen ist, scheint das nicht richtig zu sein und es traten eigentlich lebenslänglich Schilddrüsenprobleme bei diesen Kindern, die damals das Jod aufgenommen haben, auf.

HC: Ja, die Kinder in Hiroshima und Nagasaki waren hauptsächlich durch äußerliche Gam­mastrahlung betroffen, es gab keine besonde­re starke interne Strahlenbelastung durch ra­dioaktives Iod. Sogar heute noch, so viele Jahre später – wie viele sind es? Sind es 45? Es sind ... – also, sogar 60 Jahre später entwi­ckeln sie Schilddrüsenkrebs. Und ein Drittel aller Schilddrüsenkarzinome metastasieren und töten den Patienten. Jetzt aber sehen wir bereits 18 Monate nach Fukushima – es wur­den ja 18.000 Kinder unter 15 bis 18 Jahren in der Präfektur Fukushima untersucht, entschul­dige, es waren zirka 38.0000 –, dass 36% von ihnen bei der Ultraschalluntersuchung Zysten und/oder Knoten an der Schilddrüse aufwie­sen. Es werden keine Biopsien durchgeführt, um abzuklären, ob die Zellen bösartig sind. Das ist grobe medizinische Fahrlässigkeit. Und dies wird klein geredet und die Eltern werden nicht informiert, was das alles bedeu­tet.

AG: Normalerweise ist in dieser Altersgruppe nur 1% der Kinder betroffen – das ist die Zahl, die ich gehört habe. Es ist also offensichtlich…

HC: Hier aber sind es 36%. Das spottet jeder Beschreibung. Aber es ist noch früh, nach den Erfahrungen von Tschernobyl ist nach 3 oder 4 Jahren mit Schilddrüsenkrebs zu rechnen. Hier tut sich aber schon etwas in den ersten 18 Monaten. Daraus kann man schließen, dass diese Kinder eine gewaltige Dosis an ra­dioaktivem Iod über Atmung und verseuchte Nahrung in der Schilddrüse abbekommen ha­ben. Und das ist erst die Spitze des Eisbergs. Das deutet darauf hin, dass sich eine Vielzahl an Krebsarten entwickeln wird, die durch die in die Leber, das Herz, das Gehirn, die Mus­keln, die Knochen und so weiter aufgenomme­ne Strahlung verursacht werden.

AG: Ja. Wir haben über Edelgase gespro­chen, über Iod und all die anderen Elemente, die von uns gerne schnell mal in dem Wort Cäsium zusammengefasst werden. Aber da gibt es Cäsium 134, Cäsium 137, da gibt es Strontium und Rubidium und so weiter und so weiter.

HC: Tja, du bist der Atomingenieur. Nenne uns noch ein paar weitere, zähle sie einfach auf, Arnie. Damit die Leute eine Vorstellung davon bekommen.

AG: Am meisten beunruhigt mich das Uran. Wir finden Uran in den Proben, was auf Kern­schmelzen und ähnliches hindeutet. Uran ist ein schweres Element, es ist erstaunlich, dass wir es einige hundert Meilen entfernt noch fin­den können. Eine der Proben, die ich in Tokyo genommen habe, enthielt Uran. Das ist also ein Hinweis auf massive Durchbrüche im Re­aktorkern. Einige Informationen kommen aus Europa, die von Staub in Häusern sprechen, die 100 Meile [von der Unfallstelle] entfernt lie­gen. Und wird finden pro Kilogramm Staub, also gut 2,2 Pfund – wir finden 100.000 Zerfäl­len pro Sekunde pro Kilogramm Staub. Das ist freilich eine ganze Menge Staub. Aber die Ja­paner schlafen am Boden.

HC: Hm…

AG: Menschen in einer Entfernung von 100 Meilen schlafen also in radioaktivem Staub, der entweder über die Lunge oder den Mund inkorporiert wird usw. Sie sind demnach nicht über den Berg und ich glaube, du wolltest ge­rade eben den Punkt ansprechen, dass wir es mit einer Regierung zu tun haben, die nichts zugeben will. Und wir haben leider ein medizi­nisches Establishment, das in Reih und Glied mit marschiert. Ich glaube, sie haben den hip­pokratischen Eid vergessen. Bei einer Vielzahl von Fällen weigern sie sich einzugestehen, dass diese Krankheiten durch Strahlung verur­sacht werden.

HC: Nun, wir sehen die durch die Strahlung hervorgerufenen Krankheiten noch nicht, mit Ausnahme der Schilddrüsenabnormitäten bei den Kindern, obwohl schon Fälle von geringe­rer Anzahl weißer Blutkörperchen auftauchen, was ein früher Indikator für eine entstehende Leukämie sein kann, des Weiteren eine abnor­male Lungenfunktion bei Kindern. Es wird von einer großen Anzahl von Kindern, die unter Nasenbluten leiden, berichtet, was bedeuten könnte, dass sie – geschädigt durch die Strah­lenbelastung – zu wenige Blutplättchen haben Es gibt also Anzeichen, aber es sind nur ver­einzelte Berichte. Aber in medizinischen Fra­gen kann man keine isolierten Geschichten heranziehen, um daraus diese oder jene Schlüsse abzuleiten. Man muss eine epide­miologische Studie durchführen, einen belas­teten Teil der Bevölkerung und ihre Verfas­sung einer unbelasteten Kontrollgruppe ge­genüberstellen; das a) kann Jahre in Anspruch nehmen, b) ist teuer und c) im Moment sieht es nicht so aus, als ob die Ärzte genau das tun wollen. Ein weiteres Problem ist, dass ich große Schwierigkeiten dabei habe, von den Krankenhäusern konkrete Daten von den tat­sächlich an Patienten durchgeführten Tests zu bekommen und was diese Tests aufzeigen. Ohne Kenntnis dieser Daten kann ich aber keine Schlussfolgerungen ziehen, weder ich noch irgendein anderer Arzt. Wir stochern also im Dunklen herum, ohne eine klares Bild da­von zu bekommen, was in Japan wirklich ab­läuft, während wir sehr wohl Anzeichen dafür haben, dass die Lage dort wirklich sehr ernst ist.

AG: Es gab da an diesem Wochenende die Geschichte im Wall Street Journal [http://online.wsj.com/article/SB10000872396390444772404577589270444059332.html], die genau zum gegenteiligen Ergebnis kommt. Dort wird behauptet, die Tragödie von Fukus­hima sei, dass Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Und aus den Zahlen wird geschlos­sen, dass es wohl 100 Tote in den nächsten 30 Jahren geben wird.

HC: Ja.

AG: Ich habe das als Experte nach Three Mile Island durchgemacht. Die Atomindustrie hat damals ganz das gleiche gemacht. Es wird die Menge das ausgetretenen Materials herunter­gespielt, dann wird die dadurch verursachte Dosis heruntergespielt, es wird die Anzahl der Betroffenen heruntergespielt und dann wird die interne Strahlung einfach ignoriert. Und als Ergebnis kommen sie dann auf diese absurd niedrigen Zahlen.

HC: Tja, dieser Artikel im WSJ wurde von ei­nem Physiker geschrieben. Was nimmt der sich eigentlich heraus? Er hat keine Ahnung von Radiobiologie, er ignoriert die interne Strahlenbelastung zur Gänze, so wie du ge­sagt hast. Wie kann er es nur wagen! Diese Leute sind noch schlimmer als Apologeten. Ich meine, du darfst in der Wissenschaft nicht lü­gen, und ganz besonders, wenn es um medi­zinische Themen geht. Denn wenn man in der Medizin zur Lüge greift, dann wird man Pati­enten entweder schädigen oder sogar umbrin­gen. Wenn wir in der Medizin lügen würden, dann würde uns die Arbeitserlaubnis entzo­gen. Man kann Medizin nicht betreiben, wenn man lügt. Diese Leute haben nicht einmal das Recht, einen Kommentar abzugeben, denn sie wissen überhaupt nicht, wovon sie da reden. Wenn sie es aber doch wissen, dann sind es Lügner und Kriminelle, würde ich sagen. Denn durch die Lüge können die Menschen nicht mehr die Wahrheit erkennen und sich nicht schützen oder verstehen und sie werden…. Dieses Unwissen wird zu Krankheit und viel­leicht auch Tod führen. Das ist eine sehr, sehr ernste Angelegenheit, Arnie.

AG: Was mich bezüglich der japanischen Re­gierung und der japanischen Infrastruktur am meiste aufregt ist, dass Ärzte auf der ganzen Welt den hyppokritischen Eid schwören.

HC: Es ist nicht hypokritisch, es ist hippokra­tisch! Allerdings ist deine Version wohl die richtigere: klingt wie hypokritisch, aber es….

AG: Das stimmt, du hast recht. Sie glauben also in Japan, dass sie den hypokritischen Eid ablegen.

HC: Ja. (Lachen)

AG: Also, du hast recht. Es beunruhigt mich, dass Ärzte das Wohlergehen des Staates vor das Wohlergehen ihrer Patienten stellen.

HC: Ich weiß, es macht mich sprachlos. Jetzt habe ich aber noch eine andere Frage, die mit dem bisher Besprochen nicht unmittelbar zu­sammenhängt. Aber es ist mir letzte Woche beim Nachdenken über all dies eingefallen. Das Wasser, das zur Kühlung der Abklingbe­cken verwendet wird, ist das extrem radioak­tiv? Und was passiert damit? Wird es immer weiter im Kreis herum gepumpt? Ist es gleich radioaktiv wie das Wasser, das den Reaktor selbst kühlt? Das Reaktorkühlwasser? Ist also das zur Kühlung des Abklingbeckens verwen­dete Wasser gleich stark mit Strahlung ver­seucht wie das Wasser, das zur Kühlung des Reaktors eingesetzt wird?

AG: Einheit IV hat am wenigsten Radioaktivi­tät in seinem… verglichen zum Abklingbe­cken. Aber alles läuft durch ein Filtersystem und wird dann in den Reaktor zurück ge­pumpt, das Wasser ist also um ein Vielfaches radioaktiver als es auf irgendeinem Bild von einem Abklingbecken aussieht: du weißt ja, dieses kristallklare Wasser in den Abklingbe­cken. Die Brennelemente sind beschädigt, als leckt es im Abklingbecken. Der Brennstoff in den Atomreaktoren ist zerstört, klarerweise wird mehr Radioaktivität freigesetzt. Die Ab­klingbecken haben ein separates Kühlsystem.

HC: Aha.

AG: Und dieses Wasser ist immer noch sau­ber, es wird auch gefiltert, aber es ist nicht an­nähernd so verseucht wie das Wasser aus den Reaktoren. Schlussendlich ja, es ist kon­taminiert.

HC: Eine Frage noch, bevor wir zum Schluss kommen, Arnie Gundersen. Was wird Japan mit all seinem Atommüll anfangen?

AG: Das ist eine hervorragende Frage. Wie du weißt, fliege ich nächste Woche nach Ja­pan, vom 27. August bis zum 7. September, und das ist eines der Themen, über das ich spre­chen werde. Die Atomlobby hat nie ein Wort darüber verloren, wie diese Frage zu klä­ren ist. Wohin mit den abgebrannten Brenn­elementen? Sie haben immer gesagt, naja, wir können sie wiederaufbereiten. Aber das hat freilich nicht funktioniert. Der Reaktor von Monju hatte eine ganze Reihe von Störfällen und ist bereits hundert Mal kostspieliger, als man jemals gedacht hat. Auf einer Insel, die von Erdbebenbruchlinien durchzogen ist, gibt es überhaupt KEINEN Platz für den Atommüll. Ich glaube, sie wollten ihn in die Mongolei bringen oder etwas in der Art.

HC: Ach, wirklich?

AG: Aber die Mongolen haben sich eines Bes­seren besonnen und sagen nun, dass sie ihn nicht nehmen wollen. Der letzte Zug in diesem Spiel wurde in Ja­pan nie gedacht. Sie haben sich nie gesagt, wir leben auf dem erdbeben­aktivsten Felsbrocken auf diesem Planeten. Ausgehend von der Frage: Wohin mit unse­rem Atommüll? hätte dann überlegt werden können, ob überhaupt Ato­manlagen ge­baut werden sollen. Stattdessen wurden die Kraft­werke, die den Müll pro­duzieren, ganz einfach gebaut und nun fragen Leute wie du und ich, was soll nun die Lösung für dieses Problem sein? Ich glaube, niemand kennt hier eine Lö­sung.

HC: Ich glaube, einige Leute denken darüber nach, ihn nach Australien zu schicken. (La­chen)

AG: Ich glaube fest daran, dass die Japaner gehofft haben, sie könnten den Müll irgendwo­hin exportieren. Denn jeder Seismologe, mit dem ich jemals gesprochen habe, sagt, es gibt in Japan keinen Ort für Atommüll, bei dem man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass er für tausend Jahre Sicherheit bieten kann, geschweige denn für eine viertel Million Jahre.

HC: Ja. Und du weißt doch, wer die Eisen­bahntrasse gebaut hat, die radioaktiven Müll transportiert und die ihn quer durch das Zen­trum von Australien befördern wird? Hallibur­ton. Du weißt ja, wer der Geschäftsführer von Halliburton war, oder, Arnie?

AG: Ja, Dick Cheney.

HC: Dick Cheney. Ja, da kommt einiges auf Australien zu. Es wurde, ganz in der Nähe die­ser Eisenbahntrasse, ein Ort namens Muckaty Station im Stammland der Ureinwohner ent­deckt, der über einer niedrigen Grundwasser­schicht sitzt, die wiederum mit dem uralten Wasser aus dem Großen Artesischen Becken, das einen Großteil der australischen Wüste bewässert, in Kontakt stehen könnte. Und das ist der Ort, wo die geringen Mengen unseres Atommülls hingebracht werden sollen. Aber es scheint eine Vereinbarung zwischen Amerika und Australien zu geben, „Globale Atomener­giepartnerschaft“ genannt, unterzeichnet von George Bush und John Harold, unserem frü­heren Premierminister, die dahin geht, dass wir anderer Leute Atommüll importieren, mög­licherweise auch aus den USA. Und man könnte weitergehen und sagen, möglicherwei­se auch aus Japan, denn viel von dem Uran in den Reaktoren ist australischer Brennstoff, australisches Uran. Die Aussichten sind zu Zeit schlecht, wohin man auch blickt.

AG: Weißt du, ich habe gesagt, dass die Ver­fechter der Atomkraft sagen: natürlich ist es si­cher und ihr müsst uns glauben, wir wissen, wie man Atommüll für eine viertel Million Jahre lagern kann. Und dieselben Leute, die so et­was behaupten, sagen dann, man kann keine Solarkraftwerke bauen, denn wir wissen noch nicht, wie wir die Energie über Nacht spei­chern können. (Gelächter). Nun, wenn wir dazu in der Lage sind, Atommüll für einen Zeitraum von einer viertel Million Jahre zu la­gern, dann sind wir selbstverständlich auch in der Lage, uns eine Methode auszudenken, wie wir Strom über Nacht speichern können, um auf eine Wirtschaft, die auf Erneuerbaren beruht, umzusteigen.

HC: Ja, wir sind dazu in der Lage, denn Solar­kraftwerke werden nun in Spanien und an­derswo errichtet, die flüssiges Salz und ähnli­che Substanzen wie geschmolzenes Salz ver­wenden. Es ist also ein Topfen [das Wort für eine erfundene Geschichte – aus Austria, wenn schon nicht Australia], so etwas zu sa­gen. Und zum Schluss werde ich das sagen, was ich der Atomindustrie sage, wenn die sa­gen: Keine Sorge, wir werden schon heraus­finden, was mit dem Atommüll zu machen ist. Ich sage: Das ist, wie wenn ich zu dir sage, dass du Bauchspeicheldrüsenkrebs hast und dass du wahrscheinlich in 6 Monaten sterben wirst, dass du aber nicht beunruhigt sein musst, weil ich ein wirklich guter Arzt bin – in­nerhalb der nächsten 20 Jahre werde ich schon eine Heilmethode finden. (Gelächter)

AG: Vielen Dank für die Einladung, Helen.

HC: Danke dir noch einmal Arnie. Wir sind von dir begeistert.

HC: Mein heutiger Gast in „Wenn du diese Erde liebst“ war Arnie Gundersen, ein Ener­gieexperte mit über 30 Jahren Erfahrung in der US-amerikanischen Atomindustrie. Einer unserer beliebtesten Gäste; das ist der Grund, warum wir ihn immer wieder einladen, um uns über die Katastrophe von Fukushima auf dem Laufenden zu halten, ein Desaster, das fak­tisch für alle Zeiten fortdauern wird, wie wir heute gehört haben.

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